Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich


Wenn an diesem 2. Adventssonntag der Traum des Jesaja (11,1-10) von einer friedlichen Welt der versöhnten Verschiedenheit verkündigt wird, dann hat man in Münster die Chance  auf ein wenig Konkretion: 20 Jahre gibt es jetzt die Queergemeinde in Münster. Neben einigen Aktivitäten versammelt sie sich, öffentlich und ohne jedes „wir-bleiben-lieber-unter-uns“ jeden zweiten Sonntag um 18:30 Uhr in der Krypta der St. Antonius-Kirche zur Eucharistie.
Wer nun meint, da würde man Schlange stehen: Weit gefehlt. Es ist nur noch eine Minderheit der LGBT-Menschen (neben denen, die ohnehin zur Abendmesse kommen), die noch irgendwie einen Draht zur Kirche behalten haben, mehr ältere, einige wenige jüngere, vermutlich alle jakobisch angehaucht nach Gen 32,27: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich“ – wobei der erwünschte Segensspender nicht Gott ist, sondern lediglich die Kirche.

Natürlich ist das kein Wunder (und all die besorgten Katholiken, die einen moralischen Dammbruch befürchten, käme die Segnung schwuler-lesbischer Paare auch offiziell durch, dürfen beruhigt sein: Es sind wohl nur noch wenige, die das tatsächlich in Anspruch nehmen würden. Die allermeisten sind erfolgreich weggeekelt worden). Es bedarf schon der Kondition eines Marathonläufers, wenn man sich nicht hat verschrecken lassen von der sanft-subtilen, aber äußerst gründlichen Verachtung eines Katechismus, weil man nicht möchte, dass einem mit „Mitleid, Achtung und Takt“ begegnet wird, sondern schlicht und ergreifend mit Respekt; weil man nur noch den Kopf schütteln kann, dass einem Professor mit dem Entzug der Lehrerlaubnis gedroht wird, weil er die wenigen Stellen der Bibel über irgendwie homosexuelles Verhalten nach den Regeln der exegetischen Kunst interpretiert, weil man die nervigen Auseinandersetzungen mit dem Domplatz & Co leid war und weil man nicht zusätzlich zu all dem Stress des Coming-Out nicht noch scharf darauf, dass einem nicht der Rücken gestärkt, sondern in den Hintern getreten wurde (nicht ohne anschließend pastorale Unterstützung angeboten zu bekommen). Fortsetzung beliebig – und all das persönliche Leid, das Ringen, die Angst, die Fragen – all das kann nur angedeutet werden. Da setzt man sich nicht nur bei Gleichfühlenden dem Verdacht aus, dass man unter einer Persönlichkeitsspaltung leidet, wenn man sich der Institution der katholischen Kirche irgendwie noch verbunden fühlt, und sei es „nur“ als Stachel im Fleisch. (Mir fallen aus dem Bereich der stationären Jugendhilfe Kinder ein, die an ihren Müttern und / oder Vätern emotional festhalten, egal, was diese ihnen angetan haben).

Allerdings ist auch die Psychiatrie nicht viel besser: Erst 1992 wurde Homosexualität aus dem Diagnose-Katalog gestrichen. Noch 20 Jahre zuvor landete man mit dieser Diagnose schnell im Zuchthaus oder in der Anstalt, und vermutlich gibt es (neben der Kapelle des Collegium Borromaeum) keinen Ort, wo Gott so heftig um die Befreiung von dieser vermeintlichen Krankheit angefleht wurde wie die Lukaskirche auf dem Gelände der LWL-Klinik.

Also: 20 Jahre Queer-Gottesdienste. Vielleicht war es die Vision des Jesaja, die manchen der ersten Stunde die Kraft geschenkt hat (zusammen mit einer Frustrationstoleranz, die schon für einen Gottesbeweis ausreichen würde), durchzuhalten und, steter Tropfen höhlt den Stein, diesen Gottesdienst zu dem zu machen, was er ist: Respektiert. Akzeptiert. Und ein Zeichen der Hoffnung auf eine Kirche, die sich über ihre Vielfalt als gottverdankt freut.

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